Klavier-Logbuch #3: „YouTube“, Repertoireliste und das Wörtchen „Mugge“

Logbucheintrag 14. Dezember 2012: Bei seinem Wiederanflug der Musikantenlaufbahn ist Bernd Reiher beim Stichwort „Demo“ angekommen und räumt mit der Unart „Mucke“ auf.

„YouTube“, „Soundcloud“, „Vimeo“ & Co. – alles wunderbare Werkzeuge, wenn es um das Selbst-Marketing in der Tonkünstlerei geht. Unzählige Videos und Tondateien von Klavierspielern sind auf Plattformen dieser Art zu finden. Manchmal, aber wirklich nur ganz selten, wird dabei allerdings vergessen, dass auch für die Präsentation auf diesem Wege die Rechte der Urheber zu beachten sind – sprich: der Komponisten. Mögliche Folge: „Dieses Video ist in Deinem Land gesperrt“.

Flinke Hände am Klavier:
Flinke Finger am Klavier: Mehr als zwölf Monate hat Spüler Bernd sie nur im Üb-Zimmer rotieren lassen – jetzt plant er den Weg nach draußen.

Um diese sehr verlockende Falle zu umgehen und dennoch erzählen zu können, um welche Musik es bei „Musica Obscura“ geht, baue ich vorerst auf eine sehr altes Mittel des Muggen-Geschäfts: Die Titelliste. Sie vermag zwar nicht, mich filmisch in musikalischer Ekstase am Klavier zu zeigen. Auch ist diese Darstellungsform klangtechnisch noch deutlich ausbaufähig. Dafür aber bietet sie einen gerade im Netzzeitalter entscheidenden Vorteil: Rechtssicherheit.

„Musica Obscura“ – Repertoirezettel (Stand: Dezember 2012)
„River flows in you“ – Yiruma, aus „Twilight“, 2´55´´
„The Shadow of your smile“ – Johnny Mandel, aus „The Sandpiper“, 2`10„
„Comptine d’un autre ete l’apres midi“ – Yann Tiersen, aus „Fabelhafte Welt der Amélie“, 3´50´´
„Eternally“ – Charles Chaplin, aus „Limelight“, 1´30´´
„Nuvole Bianche“ (deutsch: „Weiße Wolke“) – Ludovico Einaudi, 5´25´´
„Password“ – Ludovico Einaudi, 5´55´´
„Moon River“ – Henry Mancini, aus „Breakfast At Tifanny´s“, 3´
„Lonesome“ („Si Tu Vois Ma Mère“) – Sydney Bechet, auch „Midnight in Paris“ (2011), 3´15´´
„Breakfast At Tifanny´s“ – Henry Mancini, aus „Breakfast At Tifanny´s“, 2´35´´
„Cinema Paradiso“ („Love-Theme“) – Henry Mancini, aus „Cinema Paradiso“, 4´20´´
„Georgia On My Mind“ – Hoagy Carmichael, Standard, Nationalhymne, auch „Ray“ (2004), 4´
„Over the Rainbow“ – Harold Arlen, aus „Der Zauberer von Oss“, 2´25´´

Übrigens – Stichwort „Mugge“: An diesem Wörtchen lässt sich schnell erkennen, welcher musikauskennerische Hintergrund tatsächlich hinter dem Absender steckt. Das Kürzel „Mugge“ kommt aus dem DDR-Musikanten-Sprech und steht für „Musikalisches Gelegenheitsgeschäft“ oder „Musik Gegen Geld“. Oft wird mittlerweile das „gg“ durch „ck“ ersetzt. „Musisch cholerische Klangbilder“? „Mitunter chattet Kanzlerin mit Edmund“? Nix dergleichen: „Mugge“ mit „ck“ bewegt sich auf dem kleichen Eksperten-Niwo wie „dämlich“ mit „h“.

Klavier-Logbuch #2: Altersheim, Senioren, Advent

Logbucheintrag 7. Dezember 2012: Bernd Reiher befindet sich auf dem Wiederanflug der Musikantenlaufbahn. Laufende Etappe: Training der Bühnenfestigkeit seines Filmmusikprogrammes am Klavier. Zielgebiet im Advent: Altersheime.

Hat er jetzt einen kompletten Volltreffer? Auf seinem Wiederanflug der Musikantenlaufbahn steuert Bernd Reiher Altersheime an, um ohne Geld Musik zu machen – am Klavier? Nun, oberflächlich betrachtet ist das schon etwas schräg. Bei Lichte besehen kommen hier aber zwei Ebenen zueinander, die sich gegenseitig nur befruchten können.

Einerseits: Blechbläser sind seit Kindheitsbeinen im Orchester oder dem Ensemble unterwegs. Alleine und ohne jegliche Begleitung Musik zu machen, das ist eine Erfahrung, mit der sie höchst selten in Berührung kommen. Wechseln Blechbläser also das Fach, vielleicht in Richtung Klavier, müssen sie erst einmal lernen, alleine auf jeglicher Bühne zu bestehen. Was man dafür braucht? Kaltes Wasser – sprich: Zuhörer. Da die aber nicht automatisch vor der Türe stehen, muss man danach suchen.

Andererseits: Menschen im Heim vegetieren in einem Tagesrhythmus zwischen Frühstück, Mittagessen, Medikamentengabe und Nachtruhe vor sich hin. Höhepunkte im Alltag sind Arzt-Visiten oder Verwandtenbesuche – dazwischen wabert das Gefühl des Abgeschobenseins. Schon kleinste Anlässe sind hier Lebensstoff, von dem man wochenlang zehrt.

Kulturelle Höhepunkte, zumal noch im eigenen Haus, sind dabei der absolute Renner. Menschen im Heim könnten also ein ideales Publikum für einen Ex-Posaunisten sein, der seine Bühnenfestigkeit am Klavier trainieren will.

Das Problem an der Sache: Nach einer ersten Rundfrage war das Interesse enorm – aber: finde erst einmal eine Seniorenresidenz mit Klavier. Natürlich hätte ich mit meinem Roland FP5 und meiner Klein-Verstärker-Anlage an zig Orten aufschlagen können – weil aber der Aufwand dafür zu groß war, ist es vorerst bei zwei Ausflügen geblieben. Gestorben ist die Idee dadurch nicht. Interessierte Seniorenstützpunkt-Vorstände – mit Klavieranschluss – können sich gerne auch außerhalb der Adventszeit melden: (0177) 492 7818.

Klavier-Logbuch #1: Feuertaufe in schwarzweißgrau

Einfach von der Kaffeerunde aufstehen, ans Klavier setzen und 45 Minuten für dreißig Leute Musik machen – ganz allein, ohne Noten und große Planerei: Was für ein Erlebnis! Besonders für einen Blechbläser! Untergekommen ist es mir Ende November bei einem Familiengeburtstag.

Für meine Reihe mit Testvorspielen, ob die Sache mit dem Bernd am Klavier auch vor Publikum funktioniert, hatte ich mir auch dieses harte Pflaster nicht erspart. Motto: Wenn Du vor den kritischen Ohren und Blicken dieser Ahnen und Tanten nicht an der Klaviatur einknickst, dann hast Du auch woanders nicht mehr viel zu befürchten.

Bernd Reiher - Selbstporträt am Klavier, 6. Dezember 2012.
Bernd Reiher – Selbstporträt am Klavier, 6. Dezember 2012.

Und? Natürlich hat nicht nur der kleine Finger gezittert, natürlich kam die schwarze Wand des Auswendig-Spielens, natürlich schlich sich dadurch manch Fehler ins Ton-Gefüge. Aber: Nichts davon hatte mich komplett aus der Bahn geworfen. Im Gegenteil: Alle Angst hatte sich, eigentlich wie immer, nach der ersten Nummer erledigt.

Während des weitaus größeren restlichen Teils dieses Auftritts wurde mir aber klar, dass ich jetzt das in Kopf und Händen habe, wonach ich mit der Posaune so lange vergeblich suchte: Endlich selber Musik machen, endlich selber als Musikant losziehen können – ohne Kollegenstress und Verwaltungsaufwand.

Der Auslöser? Zwei Nägel in einer Wand. Erst durch den Komplettausstieg ist aus dem Blechbäser ein Musikant in eigener Regie geworden. Fortsetzung folgt. Thema: Altersheim.

Zurück zur Musik: Von der Wiedererfindung des tellerwaschenden Ex-Posaunisten Bernd Reiher am Klavier

Bernd Reiher hat schon viele Jobs gemacht. Seit 2008 ist er unter anderem als Tellerwäscher, Netzreporter, Haushälter und Telefonist unterwegs. Davor aber brachte er zwischen 2001 und 2005 als Programmmacher, Organisator und Presse-Mann den Veranstaltungsbetrieb im UT Connewitz zum Laufen, um danach bis 2007 an den Reglern von Radio blau zu drehen.

Von der Posaune über das UT Connewitz, Radio blau, die L-IZ und die Spüle zum Klavier: Bernd Reiher

Ursprünglich jedoch hat er an der Leipziger Musikhochschule Posaune mit Nebenfach Klavier studiert und danach zehn Jahre unter anderem in den Theaterorchestern von Altenburg, Gera, Halle, Wittenberg und der „MuKo“ gespielt. Auch war er als Blechbläser von 1993 und 2007 bundesweit mit dem Posaunenquartett „á la quarte“ zu erleben und hat mit dieser Formation den bei Blechbläsern begehrten Titel „Jan-Koetsier-Preisträger“ nach Leipzig geholt.

Die Posaune, sie sollte lange nicht nur berufliches Schicksal sondern auch Erwerbseisen des Bernd Reiher sein. Am 24. Dezember 2007 jedoch griff er in seiner Wohnung mit einem breiten Grinsen unter der Nase zum Hammer – es war die Stunde, in der er seine Zug-Maschine an den Nagel hing. Die Entscheidung dafür fiel kurz zuvor während einer Heilig-Abend-Mugge in der Nikolaikirche: Nie wieder Posaune in Gottes Dienst. Abschied vom Blechbläser-Kombinat. Lieber Hilfsarbeiten, als die dennoch nötige Hartz-IV-Gängelei.

Fortan im Job-Millieu unterwegs, waren die ersten 48 Monate dieser neuen Laufbahn jedoch von einem diffusen Grummeln in der Magengegend begleitet. Quelle? Lange unklar. Erst im Sommer 2011 sollte sich herausstellen, dass für dieses Pochen seine musikalischen Wurzeln verantwortlich waren. Seit diesem Kopfstoß war er in freien Stunden wieder täglich im Musikzimmer zu finden – allerdings nicht mehr mit den Lippen am Mundstück, sondern Leib und Seele am Klavier.

In den darauf folgenden zwölf Üb-Monaten entstanden: ein rund einstündiges Programm mit Filmmusik für 88 Tasten. Arbeitstitel: „Musica Obscura“. Darin enthalten: Kompositionen von Yann Tiersen, Yiruma, Henry Mancini, Ennio Morricone, Charles Chaplin oder Ludovico Einaudi – aus Produktionen wie „Fabelhafte Welt der Amelie“, „Twilight“, „Cinema Paradiso“, „Limelight“ und anderen.

Dieses Klangpaket wiederum zeigte im September 2012 erste Allüren, auch außerhalb des Studierzimmers gehört zu werden. Die Folge im Herbst: Erstmals seit fünf Jahren war Posaunist a.D. Bernd Reiher wieder als Musikant zu erleben – bei ersten Test-Auftritten am Klavier. Der Applaus bei den Feuertaufen am Hammerwerk wies schließlich die Richtung für eine weitere Kurskorrektur in seinen Reiseplänen. Zielgebiet diesmal: Neuanflug der Musikantenlaufbahn – nunmehr parallel zur Jobberei.

Seit November 2012 ist dieser Wiedereintritt in vollem Gange und dabei mit solchen Stationen wie Demo-Produktion, Unterricht, Vorspiel, Artwork-Erstellung und Kontaktknüpferei verbunden. Vom Gelingen und Scheitern der einzelnen Etappen soll per Netz-Logbuch erzählt werden. Adresse: berndreiher.wordpress.com. Fortsetzung? In Arbeit.